Kunsthaus Orplid


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Lothar Fischer, Helmut Sturm
Arbeiten auf Papier
Orplid Icking
Eröffnung Freitag, 23. Januar, 18 Uhr

Zwei Freunde, zwei Weggenossen, zwei Künstler, die im Vorfeld der Revolten um das 1968er Jahr der Kunst weniger den Muff austreiben wollten als vielmehr eine verlogene Pseudo-Geistigkeit, die ihnen im Kunstbetrieb der Nachkriegs- und Nachholungsjahre auf die Nerven ging. Außer um Malerei wollte man sich zudem um gesellschaftspolitische Themen kümmern, so dass sogar eine Art Manifest entstand, das ihnen zeitweise Ärger mit der Staatsanwaltschaft eingebracht hat. Angegangen wurde vor allem die zu jener Zeit heftig betriebene Hinwendung zur Abstraktion und zum Informel, das sie „als hundertmal abgelutschten Kaugummi“ bezeichneten. Mit der Gründung der Gruppe SPUR 1957 hatte man im Sinn etwas in Gang zu bringen, „einen kulturellen Putsch während ihr schlaft“.

Lothar Fischer und Helmut Sturm waren zwei der vier Gründungsmitglieder. Im Ickinger Orplid hat Alinde Rothenfußer Werkzeichnungen in Tuschetechnik auf Papier des Bildhauers Lothar Fischer und Malerei von Helmut Sturm, einzuordnen in eine sehr eigene Nische zwischen Informel und Abstraktion, miteinander verbunden - aber auch bewusst einander gegenüber gestellt. Mitte der 1960er Jahre hatten beide Künstler begonnen, sich von der gemeinschaftlichen Richtung zu lösen und ihren eigenen Weg zu gehen. Fischer hatte sich damals ohnehin schon der Bildhauerei zugewandt. Er wurde Meisterschüler von Heinrich Kirchner und mit 52 Jahren wurde er an die Hochschule der bildenden Künste in Berlin berufen. Zwanzig Jahre pendelte er zwischen seinem Haus in Baierbrunn und Berlin. Dem Zeichnen räumte er einen hohen Rang ein im Vorfeld der Entwicklung seiner Figuren. Helmut Sturm bewegte sich von abstrahierender Figürlichkeit und der Landschaft als Fundament in jeweils heftiger, expressiver und oft wie rhythmisch explodierender Farbigkeit bis zum Loslassen jeglicher Gegenständlichkeit – vielleicht sollte man sagen, scheinbarem Loslassen der Gegenständlichkeit. 1975 war er aktiv an der Gründung des Kollektivs Herzogstraße beteiligt. Von 1985 an lehrte er an der Münchner Akademie. Beide Künstler waren Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Lothar Fischer starb 2005, Helmut Sturm 2008.

Der Mensch grundsätzlich, aber auch die kosmisch zu nennende Dichothomie des Menschenpaares, das heißt, des männlichen und des weiblichen Prinzips und dessen unendliche Möglichkeiten der Abstoßung und Anziehung, waren das Thema von Lothar Fischer. Gelegentlich ging es ihm auch um das Paar Mensch und Pferd, seit früher Zeit der Kunst einer der Archetypen für Machtausübung. Eine seiner großformatigen Pinselzeichnungen auf Papier, ein Mann auf einem Pferd in der von zahlreichen Standbildern bekannten Pose, hängt zentral in der Ausstellung in Icking. Aber selbst hier ist zu spüren, dass es dem Künstler darum gegangen sein muss, die Energiebalance zwischen Mensch und Tier augenfällig zu machen und nicht einem Thema der Kunstgeschichte Referenz zu erweisen.

Die ersten Arbeiten, die zu sehen sind, stammen aus der Mitte der achtziger Jahre. Locker aus der Pinselhand gezeichnet, mit noch sehr dunkler Tusche und mit noch eher einfachen Lineaturen. Fischers Erklärung dazu: „Die räumliche Vorstellung wird über das zeichnerische Mittel der spontanen Linie ständig korrigiert und verändert“. Die Körper, der Mann, öfter noch die Frau, gern auch als Tanzende, sind nun eingefangen mit ihren charakteristischen Merkmalen, jedoch reduziert auf Armlinien, Beinlinien, Kopf, Busen. Geht es um ein Paar, ist zwischen ihnen bereits ein Gewirk von schmaleren Linien zu sehen. Es tut sich etwas, wie von allein, nicht wirklich bewusst wahrgenommen. Dann verändert sich der Strich. Fischer geht zu wässriger Sepiatusche über. Die Zeichnungen werden weicher, leiblicher. Feinste Nuancierungen im Pinseldruck lassen Plastizität entstehen, lassen Rundung der Glieder und Wärme der Haut fühlbar werden, während gleichzeitig die Grundinformation über den menschlichen Körper minimalistisch bleibt. Dass der Künstler auf diese Weise die Umsetzung in die dritte Dimension auslotete, darf nicht vergessen werden. Gleichzeitig verstärkt sich die Gefühlskomponente. Es geht jetzt um Lockung und Ablehnung, um Lust und Abkehr. Das Gewirk zwischen den Figuren wird vielgestaltiger, auch rätselvoller. Der Betrachter mag ein Kind erkennen oder ein Tier oder auch ein Stück sichtbar gemachtes Chaos, das zwischen den beiden Figuren in eine Ordnung zu bringen sein wird. Mit genial einfachen und immer hoch ästhetischen Mitteln erfasst der Künstler das Urprinzip unseres Welttheaters, die Dualität.

Auch für die Arbeiten von Helmut Sturm darf gewagt werden, den Begriff Welttheater ins Spiel zu bringen. Wer sich im oberen Raum links eine Weile einlassen mag und seiner Phantasie ein Spiel gestattet, für den wird sich in jedem einzelnen Bild und in jedem Bild anders wie in einem Bühnenraum eine Szenerie entfalten von Frieden und Liebe, von Bruch und Aggression. Der Pinsel muss getanzt haben; Sturm war ja ein rascher Arbeiter, musste sich äußern und veräußern bis zur Atemlosigkeit. Der Philosoph Friedrich Schelling hatte diesen Vorgang der „höchsten Entäußerung“ schon vor 200 Jahren als unverzichtbar für die Arbeit des Künstler beschrieben und sprach sogar von der „Pein der Formgebung“, die auszuhalten sei. Kopfarbeit ist dies nicht. Sturm lässt sich leiten: Die Farbe im frisch angesetzten Pinsel ebbt ab, Farbtöne vermischen sich, gebären ungewöhnliche Nuancen. Ein breit geführtes Schwarz dünnt sich aus, die Pinselhaare schaffen ein feines Gewebe. Das Dunkle ist da, der Maler wusste davon sehr viel, aber er überließ ihm niemals die Übermacht. Es gab immer ein helles Grün, ein Blau des Himmels, ein leuchtendes Karmesinrot. In den älteren Arbeiten formen sich Wirbel, Höhlungen, stille, fast romantische Partien müssen sich benachbart behaupten gegen harte Einbrüche, furiose Farbkapriolen. In den Arbeiten der letzten Lebensjahre Sturms von 2006 bis 2008, die sich oben im Haus, aber auch unten, kleinformatig und bewusst eng gehängt in einem kleinen Kabinett finden, fällt eine der Landschaft verwandte Botschaft auf. Hügelungen bis zum Horizont mögen sich zeigen, darüber ein Stück Himmel. Aber es verliert sich auch immer mehr das Ekstatische, das wütende Aufbegehren der individuellen, dann oft vertikal oder diagonal wirbelnden Gestalt. Der Mensch kann nicht in den Himmel wachsen. Ihm bleibt nur die Bescheidung auf die waagrechte Bewegung. Zart und mild in den Farben ist ein Teil dieser Bilder, in anderen dominiert ein sehnsuchtsvolles Violett. Der dunkle Schatten ist schon nahe.

Im unteren Geschoß und an der Treppe zur Galerie hat Alinde Rothenfußer die Arbeiten der beiden Künstler gemischt gehängt, hat trotz der großen Unterschiede des Ausdrucks der Exponate fundamentale Gemeinsamkeiten entdeckt und einander zugesellt. Zwei einander ebenbürtige Sichten auf das große Welttheater...

Ingrid Zimmermann